Kirche, Stadt und Schüler*innen des DBG erinnern an das Leid der KZ-Häftlinge

Gedenktafel für jüdische Zwangsarbeiter enthüllt

Hinweisschild mit Infos zur Gedenkstätte
Die Gedenktafel.

FILDERSTADT. Nazi-Schreckens-Taten in Filderstadt? Quasi vor der eigenen Haustür? Ja, die grausamen Verbrechen dieses Terrorregimes sind auch Teil der hiesigen Ortsgeschichte. In den Kriegsjahren 1944/1945 mussten jüdische Häftlinge des KZ-Außenlagers am Flughafen Schwerstarbeit leisten – hungernd, krank, entkräftet, frierend. Viele starben. Eine Gedenktafel erinnert nun an das unermessliche Leid dieser Menschen.

Es ist still. Mucksmäuschenstill in der überfüllten evangelischen Petruskirche in Bernhausen. Viele Menschen aller Generationen sind gekommen, um den Opfern der unbarmherzigen Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus zu gedenken. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen jene 600 jüdischen Zwangsarbeiter aus dem Lager zwischen Bernhausen und Echterdingen, die zu schwersten Arbeitsdiensten verurteilt waren

Der Hintergrund: Im August 1944 wurde die Startbahn des Flughafens Stuttgart durch alliierte Bombenangriffe stark beschädigt. Zu deren Reparatur wurden KZ-Häftlinge „angefordert“, die von Ende November 1944 bis Januar 1945 unter menschenunwürdigsten Bedingungen in einem Außenlager-Hangar (heute Teil des US-Airfields) untergebracht waren.

Zu ihren Aufgaben gehörte es, im Steinbruch Emerland am Ortsrand von Bernhausen Steinblöcke herauszubrechen, mit denen anschließend die Startbahn des Flughafens repariert wurde. Weitere Materialabbaustätten befanden sich in Plieningen und Leinfelden. Die harte Arbeit sowie die unerträglichen Umstände forderten ihre Opfer – sehr viele Opfer. Mindestens 119 der Häftlinge starben in dieser kurzen Zeit an Krankheiten, Hunger und Entkräftung. Eine Fleckfieber-Epidemie bedeutete schließlich Anfang 1945 das Aus des KZ-Außenlagers. Die meisten Gefangenen aus 17 Nationen wurden anschließend in andere Lager deportiert. Filderstadts Stadtarchivar Dr. Nikolaus Back zieht eine erschütternde Bilanz: „Nur von 65 der 600 Häftlinge aus dem KZ-Außenlager am Flughafen ist bekannt, dass sie den Holocaust überlebten.“

Enthüllungs-Datum nicht zufällig gewählt

Eine Gedenktafel am Rande von Bernhausen (Ecke Talstraße/Gymnasiumstraße, vor einer großen Streuobstwiese rechts der B312, die von Bernhausen Richtung Bonlanden führt) erinnert jetzt an das schwere Schicksal der jüdischen Häftlinge. Und der Tag ihrer Enthüllung wurde nicht zufällig gewählt. Er fiel auf ein historisches Datum: den 9. November, den 85. Jahrestag der Reichspogromnacht. 1938 organisierten und lenkten die Nazis unfassbare Verbrechen gegen Jüdinnen und Juden im gesamten Deutschen Reich. Rund 1.400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden damals gestürmt und zerstört. Die Nazis deportierten und ermordeten unzählige Anhänger*innen des jüdischen Glaubens.

An all‘ das Leid des jüdischen Volkes und der KZ-Häftlinge vor Ort erinnert nun auch die Gedenktafel in Bernhausen. Im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung sagte Dekan Gunther Seibold – auch im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten und die aufkeimenden Antisemitismus-Tendenzen in Deutschland: „Wir wollen uns dem stellen, was war und was ist.“ Gleichzeitig betonte der Kirchenvertreter: „Wir stellen uns an die Seite des jüdischen Volkes. Wenn es gegen Juden geht, geht es auch gegen uns.“

Dies unterstrich ferner Jochen Maurer, Pfarrer für das Gespräch zwischen Christen und Juden der Evangelischen Landeskirche. Seine Forderung: „Wer das ,Nie-Wieder!‘ ernst meine, müsse nun gegen den Antisemitismus aktiv werden. Denn: „Wenn wir den Antisemitismus bekämpfen, stehen wir auch für unsere Demokratie ein.“ Maurer sprach sich für „Bildung auf allen Ebenen“ aus. Sie sei dringender denn je.

Knapp einhundert DBG-Schüler*innen

Knapp einhundert Schüler*innen der Klassen 11 und 12 des Dietrich Bonhoeffer-Gymnasiums (DBG) in Sielmingen beteiligten sich an der Veranstaltung, zu der die Evangelische Kirche und die Stadt Filderstadt zusammen eingeladen hatten. In Begleitung der verantwortlichen Lehrerschaft (Heike Homrighausen, Beate Brielmaier und Markus Gugel) präsentierten die Jugendlichen ihre ganz persönlichen Gedanken und Emotionen in Redebeiträgen und symbolischen Gesten. Auch bewiesen sie viel Empathie mit dem großen Leid der jüdischen Zwangsarbeiter. Besonders beeindruckt und bewegt zeigten sich die jungen Menschen von couragierten Bürger*innen, die in Zeiten der NS-Schreckensherrschaft ihr Leben riskierten, um den hungerleidenden KZ-Häftlingen heimlich Essen „zuzustecken“. Ihr Fazit: „Auch wenn es nur wenige in der Bevölkerung waren, war dies doch eine kleine Form des Widerstands…“

Nach dem Auftakt in der Petruskirche ging die Gästetraube zur Gedenktafel-Enthüllung an der Talstraße. Dort gaben Oberbürgermeister Christoph Traub, Dekan Gunther Seibold sowie das SMV-Trio des DBG (Mara Valentin, Lea Wiedemann und Jannik Kegler) die Schautafel offiziell frei. Der Rathauschef: „Durch diese Tafel wird die Weltgeschichte wie auch das Zeitgeschehen in unserer Stadt sichtbar.“ Traub sprach voller Hochachtung und Respekt von den Menschen, die damals den Mut gehabt hätten, vor den Gräueltaten und dem unfassbaren Leid der Menschen nicht wegzuschauen. Diese Frauen und Männer hätten ihr eigenes Leben riskiert, um die KZ-Häftlinge mit Essen zu versorgen. Gerade in diesen Tagen sei eine Überzeugung so aktuell wie eh und je: „Gedenken ist notwendig, Gedenken ist erforderlich.“ (sk)